Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Heft-Archiv >> 2018 >> Publisher 5-18 >> Design & Praxis >> Das eigene Portr�t � in 3D gedruckt

Das eigene Portr�t � in 3D gedruckt

Die Kreuzlinger Ifolor AG ist mit rund 230 Mitarbeitenden im Geschäft mit Fotos, ­Kalendern oder Fotobüchern eine Grösse. Noch weitgehend unbekannt sind die ­3D-gedruckten Fotofiguren – eine innovative Unternehmensgeschichte.

Ralf TurtschiEs war an einem kalten Februartag in der «Photo 18» in Zürich Oerlikon. Am Stand von Ifolor zwei lange Tische voller Fotofiguren, wie aus dem Leben gegriffen. «Etwas für Modelleisenbähnler?», fragte ich mich, wurde dann aber eines Besseren belehrt. Die Figuren sind lebensecht, fast wie im Wachsfigurenkabinett, nur viel kleiner. Faszinierend der Gedanke an ein kleines Duplikat von mir, aber nicht als Foto, sondern als Figürchen. Rasch war der Kaufentscheid gefasst, die Gelegenheit fast unwiderstehlich.

Eine junge Frau führte mich in ein rundes Kabäuschen in der Messehalle. Ich wurde gebeten, auf einem iPad Körpergrösse, Vor- und Nachname sowie meine Mailadresse einzutippen. Dann durfte ich in die rund angelegte Kabine treten, so in der Art wie eine Umkleidekabine im Kleidergeschäft. Auf Knie-, Hüft-, Kopfhöhe waren unzählige Kameras montiert, die mich direkt ins Visier nahmen. Nach einer kurzen Einführung, was gleich geschehen würde, sollte ich zwei Positionen für die beiden Aufnahmen einnehmen und wurde gleich darauf zweimal geblitzt. Das wars schon. Tags darauf erhielt ich per Mail zwei Fotos mit gerenderten Bildern, von denen ich mich für eines entscheiden sollte. Der Bestellvorgang und die Bezahlung folgten online. Weitere drei Wochen später lag ein schmales Paket im Briefkasten, enthaltend meinen Klon. Ifolor hat dafür eigens einen Markennamen kreiert: ifolor 3D TWINSIE. Ich habe mein Twinsie insgeheim drucken lassen und die Figur einfach bei uns auf den Esszimmertisch gestellt. Meine Frau war ganz aus dem Häuschen, das kleine Geschenk hat voll ins Schwarze getroffen.

Szenenwechsel. Ifolor hat als Marktführer von Produkten wie Fotos, Fotobücher, Fotokalender, Fotoposter, Fototassen, Fotopuzzles usw. die künftige Entwicklung des Abbildungsgeschäftes im Auge. In Kreuzlingen stehen in einer beeindruckenden Produktionshalle Digitaldruckmaschinen und Fotopapierbelichter, auf denen die fotografischen Erzeugnisse produziert werden. Der Digitaldruck erfolgt mit HP Indigo, Xerox iGen und Epson-Tintenstrahldruckern. Ifolor wurde 1961 gegründet, ist heute in 15 Ländern aktiv und beschäftigt rund 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Hannes Schwarz gehört zur Inhaberfamilie, als Ökonom und CFO ist er in der Geschäftsleitung für die Finanzen zuständig. Er spricht von der Innovationskraft und von der Entwicklung eines Geschäftsfeldes, welches nicht ohne Risiko ist: «Wir beschäftigen uns intensiv mit der Frage, wie das Fotogeschäft der Zukunft aussehen könnte. Inwieweit werden digitale Fotos auf den Screens der Zukunft angesehen und wie oft werden sie noch ausgedruckt? Wird nur noch gefilmt, wird man aus den einzelnen Frames Standbilder erzeugen? Es ist für unser Kerngeschäft elementar, wie sich die Aufzeichnungsgeräte entwickeln werden. Solche Überlegungen führen dazu, dass wir die weltweit zu erwartende Entwicklung vorwegnehmen und daraus neue Produkte zu entwickeln versuchen. Wir sind mit dem 3D-Druck klar in einer Aufbau- und Testphase. Wir probieren aus, was funktioniert und was nicht, und entwickeln interessant scheinende Geschäftsfelder pragmatisch weiter.»

Innovation besteht nicht darin, die Entwicklung nachzuvollziehen und auf den Markt kommende Produkte und Software möglichst schnell in die Praxis umzulegen. «Antizipieren heisst, die eigenen Möglichkeiten vorauszusehen und entsprechend aufzubauen, sodass man gewappnet ist, wenn der Hype dann losgeht», meint Schwarz. Am Beispiel der dreidimensionalen Abbildung heisst dies, dass Aufzeichnungsgeräte der Zukunft wohl in der Lage sind, Gegenstände von allen Seiten zu filmen, um daraus dreidimensionale Abbildungen auf dem PC zu rendern.

Heute ist eine Panoramaaufnahme auf die gleiche Art möglich: Man zieht das Handy von links nach rechts und schon rechnet die Software die einzelnen Filmframes zu einem Panoramastreifen zusammen. Vor zehn Jahren noch undenkbar, heute Standard. Es ist abzusehen, dass morgen Teilflächen zu dreidimensionalen Darstellungen gerendert werden können.

Hannes Schwarz spricht davon, dass die Handys in fünf, zehn Jahren nicht mehr in der heutigen Form vorkommen würden.

Das Twinsie-Projekt

Ifolor hat bisher einen siebenstelligen Betrag investiert, aus eigener Kraft, ohne Risikokapital. Im Twinsie-Team arbeiten Software-Entwickler, Workflow-Leute, Marketeers, Bildbearbeitungsspezialisten, Produktioner und kaufmännische Angestellte. Insgesamt werden vier Stellen dazugerechnet, die teilweise oder ganz für das Twinsie-Projekt arbeiten.

Zurzeit sind zwei Scanstationen im Einsatz: Eine steht stationär bei Ifolor in Kreuzlingen, eine zweite ist in einem mobilen Container eingebaut, der bei grösseren Events in der ganzen Schweiz eingesetzt wird. Am Seenachtsfest Fantastical wurde die Einheit im August erstmals getestet.

Ivana Eggenberger ist im Marketing mit der Marktentwicklung beschäftigt. Hier werden Videoclips erzeugt, die Internetseite aktualisiert, es entstehen Blogs, Testimonials oder normale Kampagnen. Mit den eigenen Kunden besteht ein riesiger Kundenstamm, der ebenfalls angesprochen wird. Ivana Eggenberger meint: «Für uns alle im Team ist es hoch spannend, zu erleben, wie etwas völlig Neues entsteht und wie der Markt es aufnehmen wird. Mit unserem Container besuchen wir Events in der ganzen Schweiz, die aktuellen Daten sind auf unserer Website ersichtlich.»

Heute noch müssen sich alle Personen, die ein Twinsie möchten, vor Ort einscannen lassen. Diese physische Präsenz ist ein Hemmnis, denn wer fährt deswegen schon vom Emmental nach Kreuzlingen? «Mit dem mobilen Container möchte Ifolor näher zu den Kunden gelangen», meint Yasmina Zuberbühler, Projektleiterin 3D. Der erwartete nächste Schritt ist der Scan mit dem eigenen Handy und damit die Loslösung von der geografischen Abhängigkeit. Damit wird Twinsie massentauglich. Die Software dafür ist geschrieben, sie ist einfach noch nicht auf dem Handymarkt angekommen. Das Projekt Twinsie steht für die Automatisierung in der Publishingbranche schlechthin. Der Scanvorgang ist automatisiert, der Software-Einsatz sowieso, das ganze Bestell- und Rechnungswesen, die Nachfassung – die Automatisierung ist Voraussetzung für das Massengeschäft.

Die Twinsie-Produktion

Stefan Mannhart ist gelernter Rollenoffsetdrucker und hat selbst eine erstaunliche beruflich Transformation hinter sich. Heute ist er zuständig für das Rendering und den Druck. «Wir fotografieren die Personen mit den 68 bzw. 71 Kameras der Scanstation von allen Seiten. Teilweise benützen wir auch strukturiertes Licht, welches ein Muster auf die Personen wirft. Damit können wir dunkle oder einfarbige Bekleidung besser in 3D rendern.» Das Umrechnen der zweidimensionalen Bilder in 3D wird mittels Fotogrammetrie bewältigt. Dabei werden die Fotos etwa 40% überlappt. Hohlräume, wie sie bei lose herunterhängenden Hemdzipfeln oder Taschen entstehen, müssen wie eine Retusche manuell behandelt werden, sodass die Figur druckfähig ist.

Das Farbe-Gips-Gemisch kann nicht unendlich feine Details in 3D abbilden, einzelne Finger sind möglich, Ohrringe wie Kreolen oder auch Brillenfassungen erscheinen in der Figur massstäblich etwas dicker als beim Original. Transparente Brillengläser können nicht gedruckt werden, Brillenfassungen werden deshalb per Software möglichst echt aufs Gesicht gelegt. Es geht hier aber ohnehin nicht um Detailzeichnung, wie man dies von hochaufgelösten Fotos gewohnt ist. Die Ähnlichkeit mit den lebenden Vorbildern ist verblüffend genug.

Der eigentliche Druckvorgang findet in einem Raum mit vier unscheinbaren 3D-Druckern statt. Der zweite Mitarbeiter im Druckraum ist Marco Holzer. Als gelernter Schriftsetzer hielt er früher Lettern in den Händen, heute sind es 3D-Gipsfiguren. Die zum Druck freigegebenen Figuren bettet Holzer wie eine Art Ausschiessen in das virtuelle Gipsbett im Drucker. Das maximale Druckvolumen beträgt 21×29×35 cm, es können bis zu 10 Figuren zusammen hineingebettet werden. Der Druckvorgang dauert acht bis neun Stunden und ist nebenan bebildert beschrieben. Die einzelnen Figuren werden anschliessend mit einem Sauggerät aus dem pulvrigen Gipsbett herausgelöst, mit Pinsel, Zahnarztbesteck und Gebläse gesäubert und in einem Epoxidharzbad gehärtet. Auch hier sind Feingefühl, Fingerfertigkeit und Augenmass gefragt. Die gedruckten Figuren sind wie Gips noch weich und brüchig. Erst das Sechs-Minuten-Bad in einer Epoxidharzlösung härtet die Figur mit einer Haut.

Holzer meint: «Mit der Zeit entwickelt man ein Gefühl für das Material, es geht sehr wenig kaputt. Wenn die Figuren unseren Qualitätsansprüchen nicht genügen, rendern oder drucken wir noch einmal.» Zum Schluss werden die Twinsies mit einem Schutzlack gegen UV-Strahlung besprayt. Nach der visuellen Schlusskontrolle werden die fertigen Figuren an der Luft ausgetrocknet, fein säuberlich verpackt und per Post versandt. Zu Hause angekommen, sollten sie immer mit Sorgfalt behandelt werden: In der Schnauze des eigenen Hundes werden sie nicht überleben, filigrane Teile wie Stuhlbeine drohen abzubrechen. Twinsies sind keine Barbiepuppen, die im Puppenhaus zum Einsatz kommen, sie sollten wie Familienfotos auf dem Tisch oder im Regal zu verblüfften Gesichtern führen und auf lange Zeit Freude bereiten. ↑

Infos: www.ifolor.ch/3DTWINSIE

Kameras Stationär in Kreuzlingen werden 68 Kameras Canon EOS 2000D, APS-C-Sensor, 24,1 Mpx eingesetzt. Im mobilen Container sind 71 Kameras des gleichen Typs im Einsatz.

Scan Ein Scan wird aus 68 oder 71 Einzelbildern zusammengesetzt. Zusätzlich wird bei Bedarf eine Aufnahme mit gemustertem Licht gemacht, um einfarbige Kleidungsstücke besser modellieren zu können.

Daten Der Datensatz einer Figur umfasst etwa 800 MB.

Druck 3D-Druck. Der Druckkopf arbeitet ähnlich wie bei einem Tintenstrahldrucker mit CMYK. Die Druckfarbe wird mit einem Leimzusatz versetzt, der sie mit dem Polymergipsaufbau bindet.

Druckdauer Im Zusammendruck werden etwa 10 Figuren während 8 bis 9 Stunden gedruckt. Die Trocknungszeit beträgt etwa 2 Stunden.

Aufbereitung Jede einzelne Figur wird nach dem Druck aus dem stützenden Gipsumfeld mit einem Gipsabsauger herausgelöst und von Hand vom Reststaub befreit.

Material Die Figuren sind aus Polymergips, welcher mittels Epoxidharz gehärtet wird.

Massstab Das Abbildungsverhältnis der Twinsies zu den realen Körpern beträgt rund 1:10.

Bestellung Bis zur Bestellung per Internet ist der Scanvorgang unverbindlich und ohne Kostenfolge.

Preise 3 Preisstufen. Basic: 1 Figur ohne Accessoire kostet Fr. 199.–. Medium: 1 Figur mit Accessoire (Snowboard, Kleintier, Kleinkind auf dem Arm) kostet Fr. 249.–. Premium: 1 Figur mit Zweitperson, mit Hund oder Ausrüstungsgegenständen kostet Fr. 349.–. Die Versandkosten betragen Fr. 7.90. Preise inkl. MwSt.Aktuell wird ein Kennenlernpreis angeboten: Basic Fr. 149.– statt Fr. 199.–; Medium Fr. 199.– statt Fr. 249.–; Premium Fr. 299.– statt Fr. 349.–.

Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG, ­visuelle Kommunikation, 8800 Thalwil. Der ­­Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als ­Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden, tätig, wo er beim Diplomlehrgang Fotografie Fotobuchgestaltung lehrt und an der Höheren Fachschule für Fotografie das ­Studienfach Design unterrichtet. ­Kontakt: agenturtschi.ch, ­turtschi@agenturtschi.ch, Telefon +41 43 388 50 00.